1. Satz: Allegro molto  

 
2. Satz: Intermezzo. Andantino grazioso


3. Satz: Andante con moto. Variation 1-5


4. Satz: Allegro

>>> Quellen

AUFFÜHRUNGSDAUER: ca. 23 Min.

VERLAG: Faber Music

Arnold Schönbergs Werdegang als Komponist dürfte während des Violinunterrichts seinen Anfang genommen haben: »Als Kind von weniger als neun Jahren hatte ich begonnen, kleine und später größere Stücke für zwei Geigen zu schreiben, indem ich die Musik imitierte, die ich mit meinem Lehrer und einem Vetter spielte. Als ich die Duette von Viotti, Pleyel und anderen spielen konnte, imitierte ich deren Stil. So lernte ich zu komponieren in dem Maße, in dem ich Violine spielen lernte.« In seiner Jugend entstanden vor allem Lieder und kleiner besetzte Instrumentalwerke, wohl auch angeregt durch die rege Kammermusikpraxis mit Freunden. Als er einen Klassenkameraden fand, der Bratsche spielte, wurde die Duo-Besetzung zum Trio erweitert. Mit dem Geld, das Schönberg sich durch Deutschunterricht verdient hatte, besorgte er sich Beethovenpartituren: »[...] es waren die dritte und die vierte Sinfonie, zwei der Razumovsky-Quartette und die große Fuge für Streichquartett, op. 133. Von da an besaß ich das Verlangen, Streichquartette zu schreiben.« Entscheidend war die Begegnung mit dem Violinisten und späteren Arzt Oskar Adler, Schönbergs Freund aus der Realschulzeit, der ihm nicht nur erste Grundlagen in Harmonielehre und Gehörbildung vermittelte, sondern mit dem zusammen er im Freundeskreis ebenso die Klassiker der Streichquartettliteratur bis zum 19. Jahrhundert spielte. Schönberg erinnerte sich später lebhaft an jene Zeit: »Wir wollten Quartette von Mozart und Beethoven spielen, also besorgte Adler eine größere Bratsche, die mit Zithersaiten versehen war, auf denen sich Tonhöhen und -umfang eines Cellos erzeugen ließen. Dieses Instrument sollte ich spielen, was ich auch tat, indem ich, da ich es nicht besser wußte, den Fingersatz der Bratsche benutzte. Bald darauf erwarb ich ein Cello, und auch dieses spielte ich mit dem gleichen Fingersatz, mit dem ich Geige, Bratsche und auch das (von mir sogenannte) Violoncello gespielt hatte. Das ging so eine ganze Weile fort, bis Adler von einem wirklichen Cellisten gehört hatte, daß der Fingersatz auf dem Cello anders sei.« Auch im Gedächtnis Adlers sind diese Quartettspiele lebendig geblieben, wie er 1948 berichtete: »Oft denke ich an die Zeit zurück, da wir zusammen Quartett spielten, in dem Dienstbotenkammerl in der Augartenstraße am Sonntagnachmittag, und an die anschließenden Spaziergänge im Prater mit philosophischen Gesprächen [...]« In zahlreichen Quartett-Projekten erprobte Schönberg fortan sein kompositorisches Können, bis er 1897 ein Streichquartett in D-Dur abschloss, seine erste erhaltene Komposition größeren Umfangs. Schönberg bezeichnet Mozart, Brahms, Beethoven und Dvořák als seine Vorbilder jener Zeit. Das gemeinsame Musizieren dürfte dabei eine wesentliche Rolle gespielt haben. Dvořák, den man ansonsten kaum zu Schönbergs Leitfiguren zählen würde, spielte im damaligen Konzertleben eine herausragende Rolle. So ist es kaum verwunderlich, dass sich sein Stil neben Johannes Brahms am deutlichsten im Streichquartett bemerkbar macht. Schönberg erwarb sich sein kompositorisches Handwerk weitgehend autodidaktisch. Den ersten veritablen Sonatensatz konnte er nach eigener Angabe erst schreiben, nachdem der mit Spannung erwartete Band »S« von Meyers Konversationslexikon erschienen war. Ein verlässlicher Ansprechpartner war gleichwohl der Freund und spätere Schwager Alexander Zemlinsky, den Schönberg immer wieder bei Schwierigkeiten konsultierte.
Das D-Dur Quartett wurde nach der Kritik Zemlinskys eingehend revidiert. Den ersten und letzten Satz schrieb Schönberg komplett um, der zweite und wahrscheinlich auch der dritte Satz wurden ersetzt. Zemlinsky schien mit dem Ergebnis durchaus zufrieden, mit seiner Unterstützung kam es zur inoffiziellen Uraufführung im privaten Kreis am 17. März 1898 durch den Wiener Tonkünstlerverein, der sich der Förderung zeitgenössischer Musik verschrieben hatte. Einige Monate später, am 20. Dezember desselben Jahres, folgte die öffentliche Uraufführung durch das Fitzner-Quartett im Bösendorfer-Saal der Gesellschaft der Musikfreunde. Ausgesprochen positiv beurteilte der Rezensent der »Neuen Freien Presse« das Stück in seiner Rezension vom 24. Dezember: »Eine sehr angenehme Ueberraschung brachte der erste diesjährige Quartettabend der Herren Fitzner und Genossen. [...] ein neues Streichquartett von Arnold Schönberg errang nicht nur einen ungewöhnlichen Erfolg, sondern machte auf alle anwesenden Musikfreunde den Eindruck, daß man es in seinem Autor mit einem wahrhaften Talente zu thun habe, das da sein erstes bedeutsames Wort gesprochen.« Der bereits angesprochene Einfluß Dvořáks lässt sich vor allem in der Gestaltung mancher Themen beobachten, allerdings kaum im Sinne von regelrechten Zitaten. Eher ist sein Einfluss in gewissen rhythmischen und melodischen Wendungen erkennbar. Lediglich das Thema des ersten Satzes erinnert überraschend an Dvořáks berühmtes »Amerikanisches Streichquartett« F-Dur op. 96. Strukturell macht sich hingegen das Vorbild Johannes Brahms deutlich bemerkbar. Bereits dieses frühe Werk deutet in wesentlichen Zügen auf die von Schönberg später als »entwickelnde Variation« bezeichnete Kompositionstechnik hin. Das Quartett beginnt mit einem beschwingten Sonatensatz, dessen Seitenthema relativ breit angelegt ist. Durchführungsartige Tendenzen machen sich bereits zu Anfang bemerkbar, einzelne Motive des Themas werden abgespalten und weiterentwickelt. Von der komplizierten Themengestaltung seiner späteren Werke ist Schönberg gleichwohl noch weit entfernt, die Satzstruktur ist im Ganzen ausgesprochen regelmäßig. Das folgende »Intermezzo« besticht durch seine aparte, verhaltene Klanglichkeit. Die Streicher spielen durchwegs mit Dämpfer. Der Themenvortrag erfolgt zunächst in der Bratsche, sodann in der ersten Violine. Es folgt eine Passage in doppelt so schnellem Tempo mit zahlreichen Dreitonfolgen in rascher Abfolge. An den wiederholten Anfangsabschnitt schließt sich eine Coda an, in der das Thema, grundiert von pulsierenden Figuren in II. Violine und Bratsche, in hohen Tönen der I. Violine zu entschweben scheint. Beim langsamen Satz handelt es sich um eine Variationenreihe, bei der das Thema zunächst im Cello-Solo vorgestellt wird, bald sekundiert durch imitationsartige Figuren in der Bratsche. Diese polyphonen Ansätze werden im Verlauf des Satzes intensiver ausgearbeitet. Schönberg beweist hier bereits früh sein Können in der Brahmsschen Komponiertradition. Nicht nur in motivischen Ähnlichkeiten zeigt das Finale einige Gemeinsamkeiten mit dem ersten Satz. Das mitreißende Hauptthema – welches nach einer kurzen, mottoartigen Figur einsetzt – erinnert durch seinen deutlich volksmusikalischen Einschlag wieder stärker an Dvořák. In Form eines Sonatenrondos bildet diese Musik einen fulminanten Abschluss für Arnold Schönbergs frühestes Streichquartett, das kaum noch als Übung eines Schülers, sondern als vollgütiges Kammermusikwerk zu erkennen ist.

Eike Feß
© Arnold Schönberg Center