AUFFÜHRUNGSDAUER: ca. 22 Min.

FASSUNGEN:
Fassung für 15 Solo-Instrumente (1906/1912) >>> Quellen
Fassung für Orchester (1914/1922) >>> Quellen
Fassung für großes Orchester (Opus 9b) (1935) >>> Quellen
Auszug für Klavier zu vier Händen (1907) >>> Quellen
Fassung für Klavierquintett (Fragment, 1907)
I. revidierte Neuausgabe (1914)
II. revidierte Neuausgabe (1922)

VERLAG:
Universal Edition
Belmont Music Publishers (USA, Kanada, Mexico)
Schirmer (op. 9b)

In einer »Analyse der Kammersymphonie« bezeichnet Arnold Schönberg sein am 25. Juli 1906 in Rottach-Egern am Tegernsee vollendetes Opus 9 als »wirklichen Wendepunkt« seines Kompositionsstils, »das letzte Werk meiner ersten Periode, das aus nur einem durchgehenden Satz besteht. Sie hat noch eine gewisse Ähnlichkeit mit meinem ersten Streichquartett op. 7, das auch die vier Satztypen der Sonatenform kombiniert [...]«
Das Formkonzept der Einsätzigkeit mit innerer, latenter Mehrsätzigkeit, das die Momente Sonatensatz und -zyklus verschränkt, studierte Schönberg an Beethovens »Großer Fuge«, Schuberts »Wandererfantasie« und Liszts h-Moll-Sonate (Werke, die sich auch in der Partitursammlung seines Nachlasses finden). Mehrdimensionales Formdenken in nahtlos ineinander übergehenden Sätzen (Exposition – Scherzo – Durchführung – Adagio – Reprise), eine Überfülle motivisch-thematischen Materials (Alban Berg streicht in seiner Analyse der Kammersymphonie 19 Themen heraus) und eine komplexe Harmonik (Dur-Moll-tonal, Ganzton- und Quartenharmonik) eröffnen in op. 9 jene Multiperspektivik, die für den Komponisten jenen »Wendepunkt« in seiner künstlerischen Entwicklung darstellte: die Abwendung vom spätromantischen Orchesterklang und die sukzessive ›Emanzipation der Dissonanz‹. »Nachdem ich die Komposition der Kammersymphonie beendet hatte, war es nicht nur die Erwartung des Erfolgs, die mich mit Freude erfüllte. Es war etwas anderes und Wichtigeres. Ich glaubte, daß ich jetzt meinen eigenen persönlichen Kompositionsstil gefunden hätte, und erwartete, daß alle Probleme [...] gelöst wären, sodaß ein Weg aus den verwirrenden Problemen gewiesen wäre, in die wir jungen Komponisten durch die harmonischen, formalen, orchestralen und emotionalen Neuerungen Richard Wagners verstrickt waren.« (»Wie man einsam wird«, 1937)
Die ersten Belege zur Kammersymphonie finden sich in Schönbergs Skizzenbuch in zeitlicher Nähe zu einer Orchesterkomposition, die Ende 1905 entworfen wurde. Seine Beschäftigung mit einem größeren Klangapparat in dieser Zeit ist evident, wenngleich nicht beweisbar, inwieweit die Konzeption des Werkes mit ihrer spezifischen Besetzung bereits mit dem Plan zu einer Symphonie verbunden war. Es darf jedoch – entgegen Anton Weberns Meinung, op. 9 trage den »Charakter eines Kammermusikwerkes« – spekuliert werden, dass die Werkintention a priori einem Kondensat symphonischer Form unter Anwendung kammermusikalischer Techniken entsprach. Nur wenige Wochen nach op. 9 konzipierte Schönberg den ersten Teil seiner Zweiten Kammersymphonie, die nach mehreren Unterbrechungen erst 1939 als op. 38 vollendet wurde.
Die Bestimmung des Symphonischen lag für Schönberg in einem »Panorama, wo man zwar auch jedes Bild für sich ansehen könnte, aber in Wirklichkeit diese Bilder fest verbunden [sind] und ineinander über[gehen].« Die Bildüberlagerung findet auf der musikalischen Ebene in der Verschränkung formaler Abschnitte eine Entsprechung, deren Gedrängtheit und Kürze ein bedeutendes fortschrittliches Moment in einer symphonischen Werkdisposition um 1906 darstellte, zumal die klangdichte Instrumentation eine konstitutive Funktion innerhalb der Komposition erlangt.
Die Uraufführung der Ersten Kammersymphonie durch das renommierte Ensemble der Bläservereinigung des Wiener Hofopernorchesters und das Rosé-Quartett im Großen Musikvereinssaal am 8. Februar 1907 führte zu einer in dieser Zeit beispiellosen Anzahl kontroversieller Besprechungen. Richard Strauss, dem Schönberg das Werk für fünfzehn Soloinstrumente im Jahr darauf – wie schon vor der Uraufführung erfolglos – angeboten hatte, antwortete am 27. September 1908, dass es nicht »für die großen Orchester-Konzerte ohne Solisten« geeignet sei und »unbedingt in einem kleineren Saale gespielt werden müsse«. Das aufführungspraktische Dilemma versuchte Schönberg durch Bearbeitungen zu lösen, zunächst für ein Konzert des Akademischen Verbands für Literatur und Musik im März 1913, das er selbst dirigierte und für welches er eine orchestral erweiterte Version für Streichorchester und zehn solistisch gespielte Blasinstrumente wählte. Die Klangbalance sollte sich aber auch bei dieser Aufführung im Großen Musikvereinssaal als unausgewogen erweisen, weshalb er sich mit weiteren »Retouchen und Verbesserungen, welche wesentlich zur Verbesserung des Klanges und zur Erzielung von Klarheit beitragen« (Brief an Artur Nikisch vom 31. Jänner 1914), befasste. Einer Subskriptions-Einladung der Konzertdirektion Heller vom Frühjahr 1918 ist zu entnehmen, dass Schönberg in einem Experiment, »das Herausbringen eines so schwierigen Werkes einmal von allem Anfang an verfolgen zu können«, die Kammersymphonie in »Zehn öffentlichen Proben« präsentierte. Der Plan einer Drucklegung der Bearbeitung für Orchester im Jahr 1922 scheiterte.
Ein Jahr nach seiner Emigration in die Vereinigten Staaten nahm Arnold Schönberg die 1923/24 erschienene Studienpartitur nochmals zur Hand und berichtete seinem Wiener Verleger – der Universal Edition – vom Plan einer weiteren Bearbeitung, welche »die Aufführungsschwierigkeiten (auf Grund meiner Erfahrungen) auf einen Bruchteil reduzieren [würde], so daß [...] die Kammersymphonie endlich ihren Platz im Konzertleben einnehmen könnte.« (Brief vom 28. Oktober 1934) Im Frühjahr 1935 sandte er an seinen Sohn Georg ein Handexemplar von op. 9 und beauftragte ihn mit der Auflage, »unter keinen Umständen irgendjemandem« davon zu erzählen, mit der Anfertigung einer Druckvorlage auf Transparentpapier. Eine geänderte Auffassung in der Behandlung des Orchestersatzes im Hinblick auf die Möglichkeiten amerikanischer Orchester (eine Notierungsweise in C entstand aus ökonomischen Gründen) bewogen ihn jedoch schließlich zur neuerlichen Bearbeitung als op. 9b. Nach der Erstaufführung am 27. Dezember 1936, die unter seiner Leitung in Los Angeles stattfand, berichtete er an Anton Webern: »Die klingt jetzt vollkommen klar und plastisch, vielleicht ein bisschen zu laut, was daran liegt, weil ich mich nicht genug vom Original weggetraut habe.«

Therese Muxeneder | © Arnold Schönberg Center