Teil I
Orchester-Vorspiel (No. 1)


»Nun dämpft die Dämm’rung jeden Ton« (No. 2)


»Oh, wenn des Mondes Strahlen milde gleiten« (No. 3)


»Roß! Mein Roß! Was schleichst du so träg!« (No. 4)

&
»Sterne jubeln, das Meer, es leuchtet« (No. 5)    


»So tanzen die Engel vor Gottes Thron nicht« (No. 6)         


»Nun sag ich dir zum ersten Mal« (No. 7)


»Es ist Mitternachtszeit« (No. 8)


»Du sendest mir einen Liebesblick« (No. 9)


»Du wunderliche Tove!« (No. 10)


Orchester-Zwischenspiel (No. 11)


»Tauben von Gurre! Sorge quält mich!« (No. 12)



Teil II
»Herrgott, weißt du, was du tatest« (No. 1)



Teil III
»Erwacht, König Waldemars Mannen wert!« (No. 1)


»Deckel des Sarges klappert und klappt« (No. 2)
&

»Gegrüßt, o König, an Gurre-Seestrand!« (No. 3)


»Mit Toves Stimme flüstert der Wald« (No. 4)


»Ein seltsamer Vogel ist so 'n Aal« (No. 5)


»Du strenger Richter droben« (No. 6)


»Der Hahn erhebt den Kopf zur Kraht« (No. 7)


Des Sommerwindes wilde Jagd
Orchester-Vorspiel (No. 8)


Melodram: »Herr Gänsefuß, Frau Gänsekraut« (No. 9)


»Seht die Sonne« (No. 10)

>>> Texte | Quellen 

AUFFÜHRUNGSDAUER: ca. 110 Min.

TEXT: Jens Peter Jacobsen (Übersetzung: Robert Franz Arnold)

FASSUNGEN: Frühfassung für Singstimme und Klavier (1900/1901); Klavierauszug (vor 1904) (verschollen); Originalfassung für Soli, Chor und Orchester (1900-1911); »Lied der Waldtaube« aus den Gurreliedern, Bearbeitung für Singstimme und Kammerorchester (1922)

VERLAG:
Universal Edition
Belmont Music Publishers (USA, Kanada, Mexico)

Die Komposition der »Gurre-Lieder« erstreckt sich über einen für Arnold Schönberg ungewöhnlich langen Zeitraum: zwischen 1900 und 1911 arbeitete er – immer wieder von längeren Pausen unterbrochen – an dem Werk. Am intensivsten setzte er sich zwischen März 1900 und März 1901 mit dem Stück auseinander, in dieser Zeit hatte Schönberg die »Gurre-Lieder« nach eigenen Angaben bereits »vollendet«. Zwischen 1901 und 1903 arbeitete er an der Instrumentation, danach ließ er die Komposition für ganze sieben Jahre ruhen. In dieser Zeit entfernte er sich stark von seinem damals noch spätromantisch geprägten Stil. Als er 1910/11 die Instrumentation vollendete, empfand er das Werk bereits als Dokument eines Kompositionsstiles und einer Geisteshaltung, der er mittlerweile ferne stand, ohne dass sie deshalb an Bedeutung verlor: »Dieses Werk ist der Schlüssel zu meiner ganzen Entwicklung. Es zeigt mich von Seiten, von denen ich mich später nicht mehr zeige oder doch von einer anderen Basis. Es erklärt, wie alles später so kommen mußte, und das ist für mein Werk enorm wichtig: daß man den Menschen und seine Entwicklung von hier aus verfolgen kann.«
Die Geschichte um König Waldemar und seiner geliebten Tove, die schließlich von der eifersüchtigen Königin ermordet wird, lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen und gehört in ihren verschiedenen Versionen zum nationalen Sagengut Dänemarks. Der Stoff erfuhr im Lauf der Zeit mehrere Veränderungen, unter anderem Hinzufügungen von konkreten Ortsbezeichnungen sowie die Vorstellung vom ruhelos umherschweifenden König. In weiterer Folge wurde die Erzählung auf den 1375 auf Schloss Gurre verstorbenen König Waldemar IV. projiziert. Diese Fassung übernahm Jens Peter Jacobsen als Vorlage für seine 1868 entstandenen Gedichte. Jacobsens Lyrik übte eine starke Anziehungskraft auf Schönberg aus. Der Dichter setzte sich intensiv mit religiösen Fragen auseinander und wendete sich schließlich vom Christentum ab und dem Darwinismus zu, was in den »Gurre-Liedern« insbesondere in den Konstellationen Natur – Gott, Liebe – Tod zum Tragen kommt.
Unmittelbarer Anlaß für den Beginn der Komposition war die Ausschreibung eines Kompositionswettbewerbs für einen Liederzyklus mit Klavierbegleitung des Wiener Tonkünstlervereins. Alexander Zemlinsky, Schönbergs Lehrer und Freund überliefert: »Schönberg, der sich um den Preis bewerben wollte, komponierte einige wenige Lieder nach Gedichten von Jacobsen. Ich spielte sie ihm vor (Schönberg spielte bekanntlich nicht Klavier.) Die Lieder waren wunderschön und wirklich neuartig, aber beide hatten wir den Eindruck, daß sie gerade deshalb wenig Aussicht für eine Preisbewerbung hätten.« Dementsprechend reichte Schönberg seine Komposition nicht ein, sondern entschloss sich zu einer Umarbeitung für Gesang und Orchester. Er bedient sich eines kolossalen Klangapparates: fünf Solisten und Sprecher, drei vierstimmige Männerchöre, ein achtstimmiger gemischter Chor und riesiges Orchester.
Der erste Teil der »Gurre-Lieder« setzt sich aus einem Vorspiel, neun Liedern Waldemars und Toves, einem längeren Orchesterzwischenspiel und dem »Lied der Waldtaube« zusammen. Anders als Gustav Mahler, der im »Lied von der Erde« eine Folge von sechs Orchesterliedern mit Satztypen einer Symphonie verschmilzt, suchte Schönberg keine entsprechenden Äquivalenzen. Allerdings schließen sich die selbstständigen Einzellieder durch thematische Beziehungen zu einer weit gespannten Form zusammen. Den inneren Zusammenhalt bedingt das Wiedererscheinen bestimmter thematischer Bildungen, die eng im jeweiligen Kontext verwoben sind. Liedübergreifende Motive werden immer aus neuen, für das Einzelstück charakteristischen Gedanken gewonnen. Alban Berg spricht in seinem »Gurre-Lieder-Führer« von der »Wiedergeburt [...] eines Themas aus neuen Motiven« und von einem »typisch Schönbergischen Kunstmittel«. Ein weiteres Bindeglied der in sich geschlossenen Einzellieder bilden die Überleitungen. Berg stellt in seiner Analyse von Toves Lied »O, wenn des Mondes Strahlen ruhig gleiten« dar, »wie ein Lied in das andere übergeht, wie sich aus Ausläufern, Motivbestandteilen ein Überleitungsmodell bildet, das wieder wichtige Bestandteile des neuen Liedes in sich birgt«. In diesen Techniken manifestiert sich das Prinzip der »thematischen Entwicklung«, die sich auf zwei Ebenen abspielt: auf der Ebene des Einzelliedes und auf der des gesamten Werkes. Die Folge der Orchesterlieder 1 – 9 bildet einen thematischen Prozess, der eine quasi-symphonische Konzeption verrät, welche durch die Kategorien der Vorahnung und Erfüllung bestimmt ist. Die melodische Gestalt, in der dieser Prozess seinen Abschluß findet (»So laß uns die goldene Schale leeren«) ist die Steigerung eines unscheinbaren Gedankens aus dem ersten Lied »Nun dämpft die Dämm'rung jeden Ton«.
In den Tove- und Waldemarliedern wird stets zwischen Hauptstimme und Begleitung unterschieden, wobei die Hauptstimme nicht immer im Gesang liegen muß. Dennoch ist der erste Teil des Zyklus durchweg vom Gesang geprägt. Themen und Motive, die im dritten Teil wiederkehren, sind weniger »Orchestermotive« als »Gesangsmotive«. Sie bilden kein »Gewebe über das ganze Werk« (Richard Wagner), sie bleiben dem Vers verhaftet, aus dem sie entstanden sind. Das Orchester verwandelt die harmonische Faktur in eine klanglich reiche differenzierte Begleitung. Thematisch-motivische Arbeit geschieht vor allem in den Zwischenspielen, in denen das Orchester die Lieder »kommentiert«. So auch in der großangelegten Durchführung im ersten Teil. Das Orchester holt hier nach, was in den Liedern unmöglich ist: eine konsequente symphonische Verknüpfung der Themen.
Die »Idee des Liedsingens«, wie sie sich in den Wechselgesängen Toves und Waldemars manifestiert, wird in der instrumentalen Überleitung zum Lied der Waldtaube (T. 944) zerstört. Der Tutti-Schlag in Takt 950 und das anschließende Englischhornsolo geben wieder, was die Dichtung verschweigt: den Anschlag auf Tove und ihren Tod. Die Wende reflektiert Schönberg in den bereits angedeuteten dichterisch-musikalischen Kategorien »Erinnerung« und »Antizipation«. Vergangenes (das Beisammensein von Waldemar und Tove) wird von der Waldtaube, dem Sprecher und von Waldemar selbst vergegenwärtigt. Waldemars Verhaftung in der längst vergangenen Zeit des Liebesglücks kommt im Lied des Klaus Narr zum Ausdruck. Gegenstück zu diesen Erinnerungsmomenten sind die in Teil I eingesprengten Antizipationen: während des Beisammenseins mit Tove nimmt Waldemar die in Teil III dargestellte Wirklichkeit vorweg. Die Erinnerungen sind in Orchestermotive transformierte Liedmelodien aus dem ersten Teil. Der nicht-liedmäßige Satz spiegelt das verlorene Liebesglück. Es wird negiert, worin dieses sich äußert: im Lied-Singen.

Agnes Grond
© Arnold Schönberg Center