Nr. 1: Leicht, zart

Nr. 2: Langsam

Nr. 3: Sehr langsam

Nr. 4: Rasch, aber leicht

Nr. 5: Etwas rasch

Nr. 6: Sehr langsam

>>> Quellen

AUFFÜHRUNGSDAUER: ca. 5 Min.

VERLAG:
Universal Edition
Belmont Music Publishers (USA, Kanada, Mexico)

Die Klavierstücke op. 19 sind fast zur Gänze an einem einzigen Tag, dem 19. Februar 1911, niedergelegt worden. Sie stellen mit ihrem Umfang zwischen 9 und 17 Takten aphoristisch formulierte Miniaturen vor, die im Charakter deutlich voneinander abgesetzt erscheinen und dabei eine jeweils eigenständig pointierte musikalische Idee verfolgen. Obwohl Schönberg Wiederholungen oder thematische Arbeit vermeidet, lassen die Stücke dennoch fast unmerklich motivische Verknüpfungstechniken und ein ausgewogenes Proportionsdenken erkennen: So stellt etwa das zweite der Stücke eine Ostinato-Studie (basierend auf der Terzfolge g-h) dar, das dritte fußt auf bitonalen Konstruktionsprinzipien. Dabei bildet sich zumeist auch kein regelmäßiges Rhythmus-Metrum-Verhältnis aus: Schönberg verwirklicht hier sein Ideal einer »musikalischen Prosa« als »Gedanken«-Darstellung »ohne bloßes Beiwerk und Wiederholungen«, gekennzeichnet durch »Freiheit des Rhythmus« und »völlige Unabhängigkeit von formaler Symmetrie« (»Brahms der Fortschrittliche«, 1933/1947).
Dem Eindruck des Unvorhersehbaren innerhalb der Gesamtheit der Klavierstücke steht eine, wie Ernst Bloch dies genannt hat, »expressionslogische« Folgerichtigkeit jeder Einzelheit der Komposition gegenüber. Erwartung und Erfahrung sind zwar als Wahrnehmungsraster der durmolltonalen Konventionen getilgt, und die künftige Abfolge der Klangereignisse ist für Hörer:innen nicht aus bereits Wahrgenommenem zu erschließen. Statt das Geschehen an einer schematischen Erwartung zu messen, kann der Formverlauf aber allein im Moment seiner Gestaltung als sinnvoll gestiftete Vielfalt, sozusagen von Augenblick zu Augenblick, mitvollzogen werden.
Das sechste und letzte Stück aus op. 19, das erst Mitte Juni 1911 entstand, hat Schönberg gleichsam als epitaphartige Erinnerung an den im Monat zuvor verstorbenen Gustav Mahler verfasst. Die Hommage bildet auch innerhalb des Zyklus eine Art Nachklang: In resignativem Bewegungsverzicht verharrt das Stück nahezu statisch auf einem Sechsklang und endet mit einem Nonintervall in der Bassstimme über dem angehaltenen Sechstonakkord, ohne tatsächlich zu schließen. Wie in Schönbergs Gemälde »Gustav Mahler (Vision)« von 1910, das freilich eher einem Selbstporträt ähnelt, mag sich Schönbergs expressiv aufgesprengte und von den Konventionen des Taktmaßes befreite Musik in den mitunter so disparat erscheinenden Spätwerken des »Zeitgenossen der Zukunft« Mahler wiedererkannt haben.

Matthias Schmidt | © Arnold Schönberg Center