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AUFFÜHRUNGSDAUER: ca. 9 Min.

FASSUNGEN:
Fassung für Kammerorchester (Johannes Schöllhorn)

VERLAG: Heinrichshofen

Aus Anlass eines Firmenjubiläums erteilte der Magdeburger Verlag Heinrichshofen Aufträge an Komponisten, Stücke zum Einsatz in Lichtspielhäusern zu schreiben. Da Filme lange Zeit ohne Tonspur gedreht wurden, existierten häufig keine eigens komponierten Filmmusiken, zumal kleinere Kinos zumeist bloß mit Klavieren ausgestatten waren, um Vorführungen live zu begleiten. Stattdessen wurden sogenannte »Cue Sheets« ausgegeben, Sammlungen von Musikvorschlägen zu unterschiedlichen Stimmungen und Emotionen, die frei mit jeglicher Art von Film kombiniert werden konnten. Diese passgenaue kompositorische Gestaltung emotionaler Zustände schien Schönberg inspiriert zu haben: Ein handbeschriebener Notizzettel skizziert unter den Oberbegriffen »Gefahr – Angst« atmosphärische Situationen. Die nummerierte Liste beginnt mit »Ruhe – Ruhig (Stille vor dem Sturm)«, gelangt über »Die Gefahr kommt nahe« zu »die Gefahr führt zu Katastrophe« und schließt versöhnlich mit »Aufatmen der Betroffenen«. Eine Notiz am rechten unteren Bildrand »Lessingtheater | Cyankali« spielt auf das kontrovers diskutierte Stück »Cyankali« von Friedrich Wolf an, das den sogenannten Abtreibungsparagrafen § 218 thematisiert. Die Uraufführung fand am 6. September 1929 im Lessingtheater statt, Schönberg könnte eine Folgeaufführung gesehen haben. Ein weiteres Blatt aus dem Nachlass von Gertrud Schönberg belegt, dass die Punkte 1 – 9 die Handlung einer imaginären Verfilmung des Theaterstücks nachzeichnen, dessen Ende zugunsten eines versöhnlichen Schlusses verändert wurde. Im für den Verlag Heinrichshofen komponierten Orchesterstück hallen die angeführten dramatischen Momente als Untertitel »Drohende Gefahr – Angst – Katastrophe« nach. Ein Zusammenhang zum Theaterstück »Cyankali« wurde von Schönberg nie hergestellt. Im Zuge der Uraufführung besprach Schönberg mit Otto Klemperer die Möglichkeit, einen »abstrakten Film« zur Musik zu produzieren. Der Dirigent brachte den am Weimarer Bauhaus wirkenden Künstler László Moholy-Nagy ins Gespräch, was der Komponist im Falle einer engen Zusammenarbeit in Erwägung zog. Schönberg war zwar nicht bereit, die Integrität seines Werkes aufs Spiel zu setzen; auf die spezifischen Anforderungen einer Musik für das Kino wusste er sich hingegen durchaus einzustellen. Die »Begleitungsmusik« knüpft an programmatische Tondichtungen wie »Verklärte Nacht« op. 4 oder »Pelleas und Melisande« op. 5 an und verknüpft die Praxis leitmotivischer Anker mit den zusammenhangstiftenden Möglichkeiten der Zwölftonmethode. Wiederkehrende melodische Gestalten untermalen durch stetige Klangveränderung die dramatische Entwicklung des Werkes. Unterschiedliche Themen weisen aufgrund ihrer Herleitung aus der gleichen Zwölftonreihe hörbare Gemeinsamkeiten auf. Die »Begleitungsmusik« gehört aufgrund der zahlreichen musikalischen Bezüge innerhalb eines relativ kurzen Stücks zu den zugänglichsten Werken Schönbergs. Sie steht beispielhaft für die ausgesprochene Vielseitigkeit der Zwölftonmethode, die je nach ästhetischer Absicht in sehr verschiedenen kompositorischen Kontexten fruchtbar gemacht werden kann.

© Arnold Schönberg Center