Aus Berlin, 2. d., wird uns telegraphiert:
Arnold Schönberg ist gestern um Mitternacht aus Wien nach Berlin zurückgekehrt. Heute morgens suchte Ihr Berliner Korrespondent Herrn Schönberg in seiner Villa in Zehlendorf auf und wurde von ihm sehr liebenswürdig empfangen. Herr Schönberg war noch ziemlich erregt über die Vorgänge bei dem Wiener Konzert und sprach sich darüber folgendermaßen aus:
»Mir ist es unverständlich, daß noch niemand auf diese Idee gekommen ist, daß es ein Rechtsbruch war, so zu lärmen. Eine Konzertkarte gibt nur das Recht, das Konzert anzuhören, nicht aber, die Vorträge zu stören. Der Käufer einer Karte ist ein Eingeladener, der das Recht, zuzuhören, erwirbt: sonst nichts. Es ist ein großer Unterschied zwischen einer Einladung  in einen Salon und der in ein Konzert. Der Beitrag zu den Kosten einer Veranstaltung kann unmöglich ein Recht verleihen, sich unanständig zu benehmen. Ich staune darüber, daß die Presse, die, solange die Applaudierenden in der Minderzahl waren, immer von einer Vergewaltigung der Minorität gesprochen hat, diesmal, wo die Zischer in der Minorität waren, gegen die Vergewaltigung der Majorität nicht protestierte. Das sieht so aus, als sollten die Zischer um jeden Preis geschützt werden.
Es wird behauptet, daß der Akademische Verband irgendwie unanständige Reklame gemacht hat. Davon ist mir nichts bekannt geworden. Es hätten bestimmte Tatsachen angeführt werden müssen statt allgemeiner Behauptungen. Ich selbst weiß nur so viel, daß mir der Akademische Verband die Proben verschafft hat, die ich für notwendig gehalten habe, und da ich die Betreffenden gut kenne und diese auch genau wissen, wie ich über solche Dinge denke, so bin ich davon überzeugt, daß nichts geschehen ist, was ich nicht billige.
In Wien setzt man leider moderne Konzerte nicht als künstlerische Angelegenheiten, sondern als politische auf. Wie eine Sache aufgenommen werden soll, das ist schon vorher bestimmt, die Leute kommen in ein Konzert mit einer festen vorgefaßten Meinung: das entwertet für mein Gefühl auch meinen Erfolg mit den Gurreliedern. Das war durchaus eine sentimentale Angelegenheit, der ich gänzlich fernstehen möchte, und die Wirkung der Musik ist sicher sehr zurückgeblieben hinter der Wirkung einer gefühlsduseligen Voreingenommenheit, in der sich Leute befanden, die einmal das Bedürfnis hatten, modern zu sein. Ich hätte die Kindertotenlieder trotz des Skandals aufgeführt, denn ich bin zwar bei dem Skandal etwas aus der Stimmung gekommen, aber doch ganz kalt geblieben, weil ich seit langem aus Selbsterhaltungstrieb gezwungen bin, mich gegen die Aeußerungen des Publikums zu immunisieren. Ich bin ungeschickterweise dem Anraten jemandes gefolgt, der mir bessere Beziehungen zum Publikum zu haben schien als ich. Es tut mir das sehr leid, denn ich habe mich sehr gefreut, die Kindertotenlieder aufzuführen, und ich bin überzeugt, daß ich nach den ersten Takten in Stimmung gekommen wäre und mit mir auch die Musikempfänglichen im Publikum.
Was meine Schüler v. Webern und Berg betrifft, so halte ich diese für hochbedeutende Talente, und deshalb habe ich sie aufgeführt, denn ich habe noch andere komponierende Schüler. Ueber Buschbeck muß ich sagen, daß ich das Eintreten Buschbecks für selbstverständlich finde, ganz abgesehen davon, daß er persönlich beleidigt worden ist. Er mußte als Veranstalter des Abends, da die Polizei machtlos war, versuchen, die Ruhe wiederherzustellen. Das konnte nur geschehen dadurch, daß man die Ruhestörer gewaltsam entfernte. Es kommt mir komisch vor, daß man den Krakeel den Veranstaltern in die Schuhe schiebt, die auf Grund einer Unmenge von Proben und sonstiger Arbeit Werke aufführen wollten, an die sie glauben, und nicht den Zischern und den Lachern, von denen viele wohl nicht mit Naivität ins Konzert gekommen sind, sondern die zur Vorsicht sogar Pfeifen mitgebracht hatten.
Die Provokation ist unbedingt von den Zischern ausgegangen, die gleich nach dem zweiten Webernschen Stück ihrer geistigen und sonstigen Ueberlegenheit Ausdruck gaben. Ich bin ja auch nicht für das Applaudieren. Aber wenn das Zischen gestattet ist, muß auch das Applaudieren erlaubt sein.«
Herr Schönberg schloß seine Unterredung mit folgenden Worten für sein zukünftiges Verhalten: »Ich habe mir vorgenommen, bei derartigen Konzerten nur dann noch mitzuwirken, wenn auf den Eintrittskarten ausdrücklich vermerkt ist, daß die Störung der Vorträge nicht gestattet ist. Es ist doch selbstverständlich, daß der Veranstalter eines Konzertes nicht nur moralisch, sondern auch materiell der Inhaber eines Rechtsgutes ist, das in einem jeden auf Privateigentum bestehenden Staatswesen Anspruch auf Schutz hat. So wenig der Mieter einer Wohnung das Recht hat, das Privateigentum des Vermieters zu zerstören, wenn er sich in seinen Ansprüchen getäuscht fühlt, so wenig kann ein Konzertbesucher berechtigt sein, das Rechtsgut eines Konzertveranstalters zu vernichten und die Störung der Ruhe oder auch der Stimmung in einem Konzert ist doch durchweg anzusehen als eine Vernichtung des moralischen und materiellen Privatbesitzes.«

Ein Scherz der Schönbergianer

Ein Freund unseres Blattes übersendet uns ein Exemplar des Programms vom Skandalabend im Musikvereinssaal mit der Absicht, uns auf einen Witz aufmerksam zu machen, den sich die vereinigten Schönbergianer gestattet haben. Auf Seite 1 des Programms werden die zur Aufführung gelangenden Werke aufgezählt an erster Stelle Anton v. Webern: Sechs Stücke für Orchester op. 4. Ein Sternchen hinter der Ziffer 4 verweist auf folgende Fußnote: »Die einzelnen Teile bilden ein einheitliches Ganzes, und es muß daher die Kontinuität (auch durch Hintanhaltung von Beifallsbezeigungen u. dgl.) aufrechterhalten werden.« Ob Herr v. Webern bei diesem imperativen Ersuchen mehr an Beifallsbezeigungen oder an »dgl.« gedacht hat?

Die Zeit (3. April 1913)