Zur Architektur des Jüdischen Museums in Berlin

Die zweite Dimension des Projektes ist eine musikalische. Denn gleich zu Beginn setzte ich mir als Vorgabe die unvollendete Oper von Schönberg mit dem Titel Moses und Aron, die mich seit langem fasziniert hat. Allerdings war das Interessante an dieser Oper für mich nicht nur, dass sie zwölf Buchstaben in ihrem Titel und all diese anderen seriellen Aspekte enthält, sondern die Tatsache, dass Schönberg sie – in Berlin –zwar zu schreiben begann, sie aber nicht vollenden konnte. Wenn er auch den Versuch unternahm, sie zu vollenden, so bricht doch die Oper im zweiten Akt auseinander. Nur die ersten beiden Akte wurden komponiert. Der Punkt ist nicht nur der, dass ihm sozusagen die Inspiration fehlte, den dritten Akt zu vollenden, sondern die gesamte musikalische Struktur war ins Stocken geraten, sodass keine Möglichkeit mehr gegeben war, in der Form der Oper fortzufahren. Das interessierte mich, denn ich hatte die Tatsache stets als bemerkenswert empfunden, dass ein Genie – dieser herausragende Geist und große Komponist – außerstande war, den dritten Akt zu vollenden. Also nahm ich all meine Platten und Schönbergs Partitur und begann das Libretto zu lesen. Darauf wurde mir bewusst, dass die Oper im Grunde tatsächlich mit dem Berlin Museum zu tun hat. Sie wurde lange vorher geschrieben, aber wie ich schon sagte, die Zeit spielt keine so entscheidende Rolle. Es handelt sich um einen Dialog zwischen Aron und Moses, wobei Aron der »Mund«, das Sprachrohr des Volkes Israel ist, und Moses der Mensch, der begreift, dass es nichts gibt, was man dem Volk zeigen könnte. Aron will sich dem Volk mitteilen, es ins gelobte Land führen, und Moses sieht sich außerstande, die Offenbarung Gottes durch irgendein Bild zu vermitteln – einschlie߬lich des musikalischen Bildes in Schönbergs Fall. Ich werde Sie nicht langweilen, indem ich Ihnen dieses Libretto vorlese – es stammt ebenfalls von Schönberg –, ich möchte Ihnen nur eine Übersicht geben. Die Diskussion zwischen Aron und Moses endet damit, dass Aron langsam im Hintergrund abgeht und der Chor singt, »Allmächt’ger, du bist stärker als Ägyptens Götter!«, woraufhin alle fortgehen, und Moses steht auf der Bühne, und angeblich, wenn Sie die Oper kennen, singt er. Er versucht, Folgendes zu singen: »Unvorstellbarer Gott! Unaussprechlicher, vieldeutiger Gedanke! Lässt du diese Auslegung zu? Darf Aron, mein Mund, dieses Bild machen? So habe ich mir ein Bild gemacht, falsch, wie ein Bild nur sein kann! So bin ich geschlagen! So war alles Wahnsinn, was ich gedacht habe, und kann und darf nicht gesagt werden!« Dies alles wird gesungen. »O Wort, du Wort, das mir fehlt!«, diese letzte Zeile, »O Wort, du Wort, das mir fehlt«, wird nicht mehr gesungen, sie wird tatsächlich nur gesprochen. Am Ende der Oper kann man das Wort verstehen, weil es keine Musik gibt. Man kann verstehen, was in der Oper gesagt wird, weil das Wort sozusagen isoliert und ihm ein ganz und gar nicht musikalischer Ausdruck verliehen wurde. Das ist das Ende der Oper, wie Schönberg sie komponierte. Es ist interessant, weiterzulesen, der zweite Akt bricht hier ab, und das Ende des zweiten Aktes ist, auf dieser Aufnahme, gleichzeitig das Ende der Platte. Dann las ich ein wenig weiter, um zu sehen, wie der dritte Akt angelegt sein sollte, doch es war klar, dass Schönberg am Ende zu zeigen versuchte, dass Moses sogar in der Wüste siegreich und mit Gott vereinigt sein würde.

Schriften zur Architektur – Visionen für Berlin. Herausgegeben von Angelika Stepken. Dresden, Basel 1995, S. 81–82